Ich habe mich sehr über die Kritik von Bettina Kohlrausch an meinem neuen Buch „Wann sind Frauen wirklich zufrieden“ in der Welt gefreut. Als Professorin „für gesellschaftliche Transformation und Digitalisierung“ der Uni Paderborn sowie Wissenschaftliche Direktorin des WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat sie sich ohne Frage stark mit den Themen des Buches auseinandergesetzt.

Da ihre Kritik ermöglicht, einige Argumente des sogenannten illiberalen Feminismus besser zu verstehen, gebe ich hier ihre wichtigsten Punkte ausschnittweise wieder und zeige, wie mein Buch „Wann sind Frauen wirklich zufrieden“ bereits eine Antwort darauf gibt. Dafür zitiere ich jede einzelne Kritik Kohlrauschs außer nicht-sachbezogenen Argumenten, bspw. das Buch sei „effekthascherisch“ oder „polemisch“, wie sie schreibt. Vielmehr gehe ich auf die inhaltlichen Kritikpunkte ein. Hiervon sehe ich 13:

  1. Kritik Kohlrausch: Feministische Forschung hat, wenn man Schröder folgt, vor allem ein Ziel: Frauen einzureden, sie seien benachteiligt, obwohl „die Emanzipation“ doch eigentlich abgeschlossen sei und „es Männern und Frauen gleich gut geht“.
  • Diese Kritik behandelt Seite 16 des Buches mit folgender Aussage (Zitat): „Aus Sicht eines un­terstützenden statt illiberalen Feminismus müsste man jedoch den Männern und Frauen helfen, die es tatsächlich gibt, statt bestimmte Lebensmodelle zu fördern und andere zu unterdrücken, weil man selbst meint, genau zu wissen, wie Menschen leben sollten.“
    • Ich kritisiere also nicht „den“ Feminismus, anders als Bettina Kohlrausch insinuiert, sondern plädiere im Verlauf des Buches für einen sogenannten „Chancenfeminismus“ gegenüber dem, was ich in der Tat einen illiberalen Feminismus nenne.
  1. Kritik Kohlrausch: „vielen unsachlichen Aussagen, die sich im Buch finden. So rückt er Forschung, die geschlechtsspezifische Ungleichheiten offenlegt, in die Nähe der „illiberalen“ Herrschaft eines Viktor Orban.“
  • Diese Kritik behandelt Seite 11 des Buches (Zitat): „Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarns, bezeichnet sein Land als illiberale Demokratie. Das trifft es recht gut. Illiberale Regierungen können sich nämlich nicht vorstellen, dass andere auch mal Recht haben könnten. Statt sich nach den Meinungen ihrer Bevölkerung zu richten, versuchen illiberale Regierungen ihrer Bevölkerung deswe­gen lieber vorzuschreiben, was sie zu denken hat. Ebenso sind Teile des Feminismus und der Gender Studies illiberal geworden. Denn sie fragen Frauen nicht mehr, wann es ihnen gut geht und was sie selbst wollen, sondern präsentieren Frauen selbst dann noch als machtlose Opfer ihrer Lebensumstände, wenn diese sich gar nicht so fühlen.“
    • Ich wäre nun gespannt: Wo genau unterscheidet sich also das, was ich „illiberalen Feminismus“ nenne, von dem, was „illiberale“ politische Regime machen? Denn genau das (dass man nicht all zu viel daraus ableiten sollte, dass Frauen selbst mit ihrem Leben zufrieden sind) ist ja Bettina Kohlrauschs Argumentation (siehe dazu die folgenden Punkte).
  1. Kritik Kohlrausch, ich stelle bei Frauen: „eine gewisse Männerfixiertheit beim Sex“ fest.
  • Diese Kritik geht auf Seite 116 des Buches zurück, in dem ich Alice Schwarzer mit den Worten zitiere, in der Sexualität liege »Unterwerfung, Schuldbewusstsein und Männerfixierung von Frauen verankert. Hier steht das Fundament der männlichen Macht und der weiblichen Ohnmacht«. Daraufhin schreibe ich im Buch: „Meiner Erfahrung nach kann man Frauen eine ge­wisse Männerfixierung beim Sex in der Tat bisweilen nicht abspre­chen.“ Was daran ist falsch?
  1. Kritik Kohlrausch: „Der Autor konzentriert sich fast ausschließlich auf das, was die Forschung subjektive Indikatoren nennt.“
  • Zu dieser Aussage kann man nur kommen, wenn man im Buch die andere zitierte Forschung übersieht. Im Folgenden führe ich deswegen lediglich die in den letzten 2 Jahren erschienenen empirischen Untersuchungen auf, die sich nicht auf subjektive Indikatoren stützen und im Buch entsprechend zitiert werden, für Kohlrauschs Argumentation aber übersehen werden müssen:
    1. Birkelund, Gunn Elisabeth, et al., 2021: Gender Discrimination in Hiring: Evidence from a Cross-National Harmonized Field Experiment. In: European Sociological Review 38, 337-354. https://doi.org/10.1093/esr/jcab043
    2. Bogaert, Anthony F./Malvina N. Skorska, 2020: A Short Review of Biological Research on the Development of Sexual Orientation. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0018506X19304660
    3. Cortés, Patricia/Jessica Pan, 2020: Children and the Remaining Gender Gaps in the Labor Market. Ihttp://www.nber.org/papers/w27980
    4. Finger, Claudia, et al., 2020: Gender Differences in the Choice of Field of Study and the Relevance of Income Information. Insights From a Field Experiment. In: Research in Social Stratification and Mobility 65, 100457. http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0276562419300101
    5. Fors Connolly, Filip/Mikael Goossen/Mikael Hjerm, 2020: Does Gender Equality Cause Gender Differences in Values? Reassessing the Gender-Equality-Personality Paradox. In: Sex Roles 83, 101-113. https://doi.org/10.1007/s11199-019-01097-x
    6. Gonalons-Pons, Pilar/Markus Gangl, 2021: Marriage and Masculinity: Male-Breadwinner Culture, Unemployment, and Separation Risk in 29 Countries. In: American Sociological Review 86, 465-502. https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/00031224211012442
    7. Hipp, Lena, 2020: Do Hiring Practices Penalize Women and Benefit Men for Having Children? Experimental Evidence from Germany. In: European Sociological Review 36, 250-264. https://doi.org/10.1093/esr/jcz056
    8. Lutter, Mark/Martin Schröder, 2020: Is There a Motherhood Penalty in Academia? The Gendered Effect of Children on Academic Publications in German Sociology. In: European Sociological Review 36, 442-459. https://doi.org/10.1093/esr/jcz063
    9. Schröder, Martin/Mark Lutter/Isabel M. Habicht, 2021: Publishing, Signaling, Social Capital, and Gender: Determinants of Becoming a Tenured Professor in German Political Science. In: PLoS ONE 16, e0243514. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0243514
    10. Schwarz, Susanne/Alexander Coppock, 2021 What Have We Learned About Gender From Candidate Choice Experiments? A Meta-Analysis of Sixty-Seven Factorial Survey Experiments. In: The Journal of Politics. Online First. https://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/716290
    11. Stewart-Williams, Steve, et al., 2021: Reactions to Male-Favouring Versus Female-Favouring Sex Differences: A Pre-registered Experiment and Southeast Asian Replication. In: British Journal of Psychology 112, 389-411. https://doi.org/10.1111/bjop.12463
    12. Stoet, Gijsbert/David C. Geary, 2022: Sex Differences in Adolescents’ Occupational Aspirations: Variations Across Time and Place. In: PLoS ONE 17, e0261438. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0261438
    13. Walter, Kathryn V., et al., 2020: Sex Differences in Mate Preferences Across 45 Countries: A Large-Scale Replication. In: Psychological Science 31, 408-423. https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797620904154
    14. Yu, Jeong Jin/Guy Madison, 2021: Gender Quotas and Company Financial Performance: A Systematic Review. In: Economic Affairs 41, 377-390. https://doi.org/10.1111/ecaf.12487

Das Buch zitiert insgesamt 250 Studien, viele davon in begutachteten Fachzeitschriften. Ich frage mich demgegenüber: wo sind die fundierten Gegenargumente? Wo sind also die statistisch repräsentativen Studien neueren Datums, die zeigen, dass Frauen bei gleichen Qualifikationen bspw. in Einstellungsgesprächen benachteiligt werden?

  1. Kritik Kohlrausch: „Die Lebenszufriedenheit ist jedoch kein Beleg dafür, dass es Männer und Frauen „gleich gut geht“, wie der Autor unterstellt“
  • Das ist richtig. Doch um diese Sichtweise zu kritisieren, musste Frau Kohlrausch Seiten im Buch übersehen, in denen ich genau das argumentiere, beispielweise: „Aber vielleicht wurde den Frauen die Mutterrolle ja schon als Kind eingeredet?“ (Seite 102) oder „Aber vielleicht gibt es ja tatsächlich einen anderen Grund zur Kritik: Schlimm wäre die Aufteilung von Job, Hausarbeit und Kinderbetreuung nämlich, wenn Frauen dabei unterm Strich weniger freie Zeit bliebe“ (Seite 104). Zudem ist genau ihre richtige Argumentation ja der Grund, weswegen ich eben nicht nur Lebenszufriedenheit analysiere, sondern a) dutzende andere subjektive Indikatoren und warum ich zudem b) 250 Studien zitiere, von alle oben genannten beispielsweise gerade keinen Bezug zu Lebenszufriedenheit haben.
  1. Kritik Kohlrausch: „Objektiv sind Frauen benachteiligt. Eine Krankenschwester ist vielleicht sehr zufrieden in ihrem Job – obwohl sie sehr wenig Geld für ihre Arbeit bekommt. Trotzdem möchte sie – und sollte auch – mehr Lohn für ihre Arbeit erhalten. Eine hohe Lebenszufriedenheit und eine messbare Benachteiligung, nämlich eine schlechtere Bezahlung in eher weiblich konnotierten Berufen, schließen sich also nicht aus.“
  1. Kritik Kohlrausch: „Aus der Höhe der Lebenszufriedenheit allerdings zu schließen, dass Frauen die aufgezeigten objektiven Benachteiligungen egal sind oder gar, dass sie sich gar keine Verbesserungen dieser Ungleichheiten wünschen würden, ist unzulässig.“
  • Das ist richtig. Doch um zu argumentieren, ich würde das anders sehen, muss man folgende zwei Punkte im Buch überlesen: a) ich nutze Dutzende Umfrageitems, die nicht nur analysieren, ob Männer und Frauen zufrieden sind, sondern auch, ob sie sich benachteiligt fühlen und b) ich mache in Kapitel „6 Für eine Gleichberechtigung, die Menschen wirklich hilft“ etliche Verbesserungsvorschläge an den Stellen, an denen sich Männer und Frauen angesichts der Daten wirklich benachteiligt fühlen (Beispiel: Alleinerziehende).
  1. Kritik Kohlrausch: „Sein auf eigenen empirischen Auswertungen beruhendes Argument, dass Frauen und Männer am zufriedensten sind, wenn Väter Vollzeit und Frauen weniger erwerbsarbeiten, die also ein traditionelles Familienmodell leben, wurde von den beiden Forschenden Stefanie Heyne und Tobias Wolbring jedoch widerlegt.“
  • Nein wurde es nicht. Die beiden machen eine sehr gute Re-Analyse meiner Daten, die ich nur befürworten kann. Sie skalieren die Variablen als nicht-kontinuierlich, was ich im übrigen in einem Online Annex auch schon gemacht habe. Sie kommen dabei zum selben Ergebnis wie ich, wenn man diese Spezifikation wählt, Zitat Seite 303f. „our replication corroborated the claim that longer working hours (up to a certain thresh­old) go along with an increase in life satisfaction of men and that they, in line with traditional role theory, still strive for full-time employment” (https://doi.org/10.1515/zfsoz-2022-0013). Und dann zeigen die beiden: Wenn man die Daten als kategorial analysiert, ist das Ergebnis ein anderes, was genau richtig ist und ich in meinem Paper auch offengelegt habe. Heyne und Wolbring haben da super Arbeit geleistet! Das Ergebnis wurde übrigens auch von Kolleginnen von Frau Kohlrausch mit Daten aus den Niederlanden repliziert: „Taken together, our results suggest that part-time jobs are what most Dutch women want“ (Seite 264: Booth, Alison L./Jan C. van Ours, 2012: Part-Time Jobs: What Women Want? In: Journal of Population Economics 26, 263-283.)
  1. Kritik Kohlrausch: „Die Zufriedenheit mit einem Arbeitszeitmodell hängt somit auch von den ganz konkreten Rahmenbedingungen und den damit verbundenen Belastungen ab.“
  1. Kritik Kohlrausch: „Schröder lässt die Bedeutung von gesellschaftlichen Strukturen für die Entstehung von individuellen Einstellungen, übrigens eine der Kernfragen der Soziologie, völlig außer Acht.“
  • Wie das Register des Buches zeigt, geht es um „Präferenz, Präferenztheorie“ auf den Seiten 49, 51, 55, 58f., 62, 101, 157, 197.
  1. Kritik Kohlrausch: „Damit hat er sich viel theoretische Lesearbeit erspart“
  • Die Arbeit zitiert 250 Untersuchungen mit 425 Fußnoten, fast ausnahmslos mit konkreten Seitenzahlen. So viel zur ersparten Lesearbeit. Konkrete Beispiele: Für die Frage Präferenzen vs Strukturen nutze ich unter anderem: Dennis Wrongs klassisches Argument von 1961, Mark Granovetter, 1985er-Argument zu Embeddedness und Catherine Hakims Präferenztheorie. Eine Diskussion dieser Theorien (und weiterer) findet auf Seite 40ff. des Buches statt. Dies anders darzustellen, spricht dafür, dass ich nicht die Literatur nutze, von der Kohlrausch gewollt hätte, das ich sie nutze. Aber genau dies könnte man eben wieder „illiberal“ nennen: andere Sichtweisen als die eigene abzuwerten, statt zu zeigen, was daran messbar falsch ist. Meine Frage also: Welche bahnbrechende theoretische Arbeit kommt im Buch nicht vor?
  1. Kritik Kohlrausch: „bringt sich leider auch um eine wichtige Erklärungsmöglichkeit für die gleich hohe Lebenszufriedenheit von Männern und Frauen: Was Menschen wollen und sich für ihre Leben vorstellen können oder wann sie zufrieden sind, hängt immer auch von ihren konkreten Lebensumständen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.
  • Sicher. Doch um dies als Kritik anzubringen, muss man Seite 209 des Buches überlesen (Zitat): „Was Männer und Frauen wollen, ist also nicht in Stein gemeißelt. Meine Kritik ist jedoch, dass der illiberale Feminismus aus diesen veränderlichen Präferenzen den Anspruch ableitet, Männer und Frauen selbst dann zu dem Leben hin umzuerziehen, welches er selbst für richtig hält, wenn die betroffenen Frauen und Männer anders leben möchten.“
  1. Kritik Kohlrausch: „Hohe Werte der Lebenszufriedenheit schließen eben nicht aus, sich eine andere Welt zu wünschen.“
  • Genau das ist der Grund, weswegen die Überschrift von Kapitel 6 meines Buches lautet: „Für eine Gleichberechtigung, die Menschen wirklich hilft“

Liebe Frau Kohlrausch, ich habe mich sehr über Ihre Kritik gefreut. In Ihrem Tweet vom 29.3. argumentieren Sie zu meinem Buch noch: „Er hätte es vermutlich auch nicht geschrieben, wenn er sich vorher empirisch und theoretische auf den Stand der Forschung gebracht hätte.“ Es freut mich, dass wir anscheinend übereinstimmen, dass diese Kritik von Ihnen in ihrer Pauschalität nicht haltbar ist, sonst hätten Sie ja nicht die Notwendigkeit gesehen, sie auszubauen und zu konkretisieren, wofür ich mich sehr bedanken möchte. Lassen Sie mich gerne wissen, falls ich einen Punkt übersehen haben sollte. Ich würde mich auch freuen, wenn noch mehr Ihrer und meiner Kolleginnen und Kollegen dazu kommen, nach Fehlern in meinem Argumenten zu suchen. Denn wie Sie sehen, gibt es bisher gegenüber jeder der Kritiken gute Gegenargumente.

Auch fände ich eine weitergehende Kritik in jedem Fall sinnvoll, da sie die gesellschaftliche Debatte darüber belebt, ob und unter welchen Umständen Frauen (und Männer) mit ihrem Leben zufrieden sind. Gut an Ihrer Kritik finde ich auch, dass dadurch die Kritik eines, wie ich ihn nenne, „illiberalen Feminismus“ deutlich wird, der Frauen eben auch dann für benachteiligt hält, wenn sie selbst das Gegenteil beteuern. Denn genau dies ist ja ihr Argument, wie ich es oben zitiere. Und diese Sichtweise der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und dem gegenüberzustellen, was ich einen Chancenfeminismus nenne, ist ja das Ziel des Buches, letztlich damit mehr Frauen das Leben haben, das sie haben möchten. Und dass es Frauen (und Männern) gut geht, ist sicher auch in Ihrem Interesse, trotz all Ihrer Kritik an der Lebenszufriedenheitsforschung. Also haben wir doch zumindest schon mal eine Gemeinsamkeit bezüglich des grundlegenden Ziels.

Wann sind Frauen wirklich zufrieden von Martin Schroeder